Foto: Andreas Stedtler

Das Gedächtnis von Schulpforte

Die Lehranstalt bei Naumburg war eine der ersten staatlichen Schulen in Deutschland - und ihr Gründer ein Mann mit Weitblick. Zum 475-jährigen Bestehen ein Besuch in der Bibliothek der Landesschule.

Von Alexander Schierholz

Im heutigen Sprachgebrauch würde man die Landesschule Pforta des 16. und 17. Jahrhunderts wohl als Kaderschmiede bezeichnen: Ein Landesherr, der dort den Nachwuchs für Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Forschung ausbilden lässt. Und der für seine Schule nur die Besten auswählt  – was zählt, ist Leistung.

Man schreibt das Jahr 1543, als eben jener Landesherr, der Herzog und spätere Kurfürst Moritz von Sachsen, die Gründung dreier Schulen verfügt: in Meißen (St. Afra), in Merseburg (später wird daraus St. Augustin in  Grimma bei Leipzig) – und eben in Schulpforte bei Naumburg. Dort siedelt sich die „Landesschule Pforta“ in dem im Zuge der Reformation 1540 aufgelassenen Zisterzienser-Kloster „Heilige Maria zur Pforte“ an. Ob der Name auf die „Himmelspforte“ verweist, ist bis heute umstritten.

Die Anweisung zur Schulgründung lässt Moritz in einer „Neuen Landesordnung“ festschreiben. Der schmale Band mit den zum Teil fleckigen Seiten zählt aus Sicht der Schule zu den bedeutendsten Dokumenten in der historischen Bibliothek von Schulpforte. Petra Mücke hütet die Landesordnung wie einen Schatz: „Das ist quasi der Ersatz für  eine Gründungsurkunde“, sagt die Bibliothekarin. Eine solche existiert für die Landesschule nämlich nicht.

Mit der Bibliothek und dem angegliederten Archiv ist Mücke, 50, die Herrin des Gedächtnisses von Schulpforte. 80 000 Titel auf prächtig verzierten Holzregalen in einem vielleicht vier Meter hohen Saal. In der um 1570 gegründeten Bibliothek finden sich  mittelalterliche Handschriften ebenso wie wissenschaftliche Werke, Stammbücher, die jeden Schüler seit 1543 verzeichnen, ebenso wie Abschlussarbeiten und Veröffentlichungen über Schulpforte oder von Absolventen. Mitten in dem großen Raum hängt an einer Standarte eine sogenannte Ehrenfahne mit den Wappen Preußens und von Schulpforte – ein Geschenk des preußischen Königs zum 300-jährigen Schulfest 1843.

Am 26. Mai gibt es in Schulpforte wieder einen Grund zum Feiern: Die Schule, seit 1990 als Internats-Gymnasium für besonders begabte Schüler ab Klasse 9 vom Land getragen, begeht ihr 475-jähriges Bestehen. Als  Moritz von Sachsen Schulpforte 1543 gründete, war sie eine der ersten staatlichen Schulen in Deutschland überhaupt. Bis dato hatte es nur kirchliche und städtische Lehranstalten gegeben. Die Gründung zeuge von großem Weitblick des Landesherrn, sagt Bibliothekarin Mücke. „Die Territorialstaaten bildeten sich zu dieser Zeit gerade heraus. Da war es etwas unerhört Neues, dass man Nachwuchskräfte für Politik und Verwaltung selbst ausgebildet hat.“ Wer aufgenommen wurde, musste sich verpflichten, später in Sachsen zu arbeiten.

Ebenso fortschrittlich sei es gewesen, die  Bewerber für die Schule ausschließlich nach Leistung auszuwählen – unabhängig von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung. Schulgeld wurde nicht verlangt. „Für Kinder aus ärmeren Bevölkerungsschichten bedeutete das eine Chance auf sozialen Aufstieg“, so Mücke. Die Bezeichnung „Fürstenschule“ für Schulpforte hört sie deshalb nicht gerne. „Der Anteil von Schülern aus Adelsfamilien war hier damals gar nicht so hoch“, sagt sie, „die sind eher nach Meißen geschickt worden“  – näher am Dresdner Hof.

Foto: Stedtler

Was aus den Absolventen geworden ist, zeigt ein Blick in ein Stammbuch  späterer Jahrhunderte. Soweit es sich verfolgen ließ, hat die Schule dort die späteren Karrieren ihrer Zöglinge notiert: Pfarrer sind darunter, Wissenschaftler, ein „Kreisphysikus“, womit  ein Amtsarzt gemeint ist. Auf der Absolventen-Liste von Schulpforte finden sich  klangvolle Namen – Nietzsche, Klopstock oder Fichte. Letzterer grüßt als Gipsbüste von einem Regal in der Bibliothek. Auch Sachsen-Anhalts ehemaliger Justizminister Curt Becker hat in Schulpforte die Schulbank gedrückt. Wie Petra Mücke, die Bibliothekarin, übrigens auch.

Die Schätze, die sie in Bibliothek und Archiv hütet, erzählen auch von Kriegen, Krisen und Katastrophen. Vom Dreißigjährigen Krieg etwa, der den Lehrbetrieb neun Mal für Zeiträume bis zu mehreren Monaten unterbrach. Oder von der NS-Zeit, die Schulpforte ab 1935 als Nationalpolitische Erziehungsanstalt überstand, in der das komplette Kollegium und fast der gesamte Schülerbestand ausgetauscht wurden. Viel mehr als diese dürren Kenntnisse existierten nicht darüber, sagt Mücke: „Nach 1945 wurde entnazifiziert, da ist fast nichts mehr an Dokumenten zu finden.“ Was bleibt, sind einige Exemplare der „Pförtner Blätter“, der ebenso wie die Lehrerschaft auf Linie gebrachten Schulzeitschrift. Und viele blinde Flecken.

Auch nach dem Ende der DDR seien Unterlagen vernichtet worden, bedauert Mücke, etwa Korrespondenz der damaligen Schulleitung mit Behörden. „Das hielt man wohl nicht mehr für wichtig.“ Dabei könnten solche Dokumente von Interesse sein für das geplante Kloster- und Schulmuseum auf dem Gelände von Schulpforte. Räume dafür gibt es bereits, und Mücke sammelt vorsorglich, was immer sie an möglichen Ausstellungsstücken bekommen kann. So steht im Leseraum neben ihrem Büro  ein Schild, das zu DDR-Zeiten den Weg zu einem Wahllokal wies. „Die Leute“, sagt sie über die künftigen Museumsbesucher, „wollen ja nicht nur alte Bücher und Schriften sehen.“

Und das aus dem Mund einer Bibliothekarin.

 

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