Magischer Blick aus dem 12. Jahrhundert

Die beiden romanischen Bildteppiche im Halberstädter Dom sind Kunstwerke von Weltrang.

Von Christian Schafmeister

Kaum betritt der Besucher den abgedunkelten Raum und bleibt nach wenigen Schritten in der Mitte stehen, zieht ihn der eindringliche Blick der Christus-Figur  auf der Stirnseite in seinen Bann. Augenblicklich und zwangsläufig. Dem Blick kann sich eigentlich niemand entziehen, der diesen Ausstellungsbereich am Halberstädter Dom betritt. Christus, zentral platziert auf einem zehn Meter breiten romanischen Bildteppich aus dem 12. Jahrhundert, sitzt umgeben von den zwölf Aposteln auf einem Regenbogenthron, einem Zeichen seiner göttlichen Herrlichkeit. „Christus bannt einen – und das ist auch genau so beabsichtigt“, erklärt Barbara   Pregla. „Er ist entsprechend der mittelalterlichen Vorstellung bei seiner Wiederkehr zum Weltgericht dargestellt, das für alle Menschen unausweichlich ist“, erklärt die Kunsthistorikerin vom Landesamt für Denkmalpflege.

Bildteppiche aus dem Mittelalter vom Weltrang

Doch es ist nicht nur der Christus-Apostel-Teppich, der die Besucher fasziniert.  Seitlich daneben hängt der ebenso große und berühmte Abraham-Engel-Teppich. Auf diesem sind vier Szenen aus dem Leben des Stammvaters Abraham aus dem Alten Testament dargestellt. Den Abschluss bildet die Erzählung, nach der Abraham aus der Treue zu Gott bereit ist, seinen Sohn Isaak zu opfern und erst im letzten Augenblick von einem Engel als göttlichem Boten von der Bluttat abgehalten wird.

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Beide Teppiche zählen nicht nur zu den kostbarsten Stücken des Domschatzes, sondern sind Kunstwerke von Weltrang. „Es handelt sich um die ältesten, vollständig erhaltenen Exponate dieser Art weltweit“, bekräftigt Barbara Pregla. Ursprünglich gefertigt worden sind sie in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts für den romanischen Vorgängerbau des heutigen gotischen Doms. Wo genau sie dort angebracht waren, lässt sich nicht mehr genau sagen. „Sicher aber ist, dass sie alleine aufgrund ihrer Bedeutung an einer zentralen Achse hingen.“

Abraham-Engel-Teppich – Halberstädter Domschatz und die Wirkteppiche

Vor allem beim Abraham-Engel-Teppich sei davon auszugehen, dass er sich mit seinen Aussagen an die gebildeteren, höheren Geistlichen richten sollte. „So stellen die einzelnen Szenen immer wieder mit verschiedenen Symbolen Bezüge zwischen Altem und Neuen Testament her.“ Mit ihren komplexen, theologischen Botschaften waren die Teppiche damals „absolut auf der Höhe der Zeit“, betont Pregla und verweist auf die Bedeutung von Halberstadt und Quedlinburg im Hochmittelalter. „Hier weilten vielfach Kaiser und Könige, und Geistliche aus Halberstadt spielten wichtige Rollen im damaligen Kaiserreich“, sagt die  Kunsthistorikerin, die sich in ihrer Arbeit seit mehreren Jahren intensiv mit dem Halberstädter Dom beschäftigt.

Halberstädter Domschatz – Bildteppiche blieben vom 2. Weltkrieg verschont

Welche Rolle die Teppiche später im heutigen Dom gespielt haben, lässt sich nicht  mehr exakt belegen. „Vermutlich hingen sie  jedoch nicht  dauerhaft , sondern nur zu besonderen Anlässen.“  Bis zum Zweiten Weltkrieg hingen beide Teppiche im Hohen Chor, das ist nicht zuletzt durch ein Foto aus dem Jahr 1942 belegt. Kurz danach wurden sie aus Angst vor Zerstörung durch Luftangriffe abgenommen und in einer Höhle bei Quedlinburg eingelagert

Optimale Bedingungen für Christus-Apostel- und Abraham-Engel-Teppiche

Heute sind für beide Kunstwerke optimale Bedingungen  geschaffen worden.  „Das Licht in dem Raum ist heruntergedimmt, um die noch  original erhaltenen Farben zu schützen“, erklärt Barbara Pregla. Und die Luftfeuchtigkeit wird stets unter 60 Prozent gehalten, um die Gefahr von Schimmel klein zu halten. Doch auch die Struktur der Teppiche soll geschont werden. Daher hängen sie nicht senkrecht, sondern liegen auf einer rauen Unterlage in einer leichten Schräglage. Damit soll  die Beanspruchung durch das Eigengewicht reduziert werden.

Die Herkunft der beiden Wirkteppiche

Wo die Teppiche gefertigt worden sind, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen – anders  als beim  bekannten Quedlinburger Knüpfteppich, auf dem die Hochzeit  von Merkur und Philologie  dargestellt ist. „Eine Inschrift zeigt, dass dieser Teppich unter Äbtissin Agnes von Meißen, die 1203 starb, hergestellt worden ist.“ Allerdings sind von diesem Teppich nur noch fünf Fragmente erhalten. Fakt aber ist: Es handelt sich nicht um ein einzelnes Werk.  „Die Damen im Kanonissenstift haben damals wohl eine Art Manufaktur betrieben und eine Vielzahl von Teppichen hergestellt“, erklärt Barbara Pregla.  Belegt ist auch ein Auftrag aus Halberstadt, dass es sich dabei aber um die romanischen Bildteppiche gehandelt hat, ist  sehr unwahrscheinlich. „Die künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten waren damals am Nordrand des Harzes auf jeden Fall da und man musste für solche Arbeiten keine Experten – etwa aus Italien – beauftragen.“

Bildteppiche in Halberstadt – auf spezielle Art gewebt

Die beiden Teppiche in Halberstadt aus gefärbter Wolle und Leinen sind gewirkt, einer speziellen Art des Webens. Das heißt, der Faden lief nicht von rechts nach links über die gesamte Breite des Webstückes, sondern jedes Farbfeld wurde einzeln gefertigt. „Die Farben sind bis heute in sehr gutem Zustand, das spricht für die hohe Qualität bei der Verarbeitung“, erklärt Barbara Pregla. So sorgsam die Fertigung, so rustikal war dann aber teils später der Umgang mit den Kunstwerken. So wurden die Schmuckbortenrigoros abgeschnitten. Der Grund dafür ist unklar. Möglicherweise sollten die Teppiche an anderer Stelle im Dom aufgehängt werden und mussten passend gemacht werden. Einen Eindruck vom Originalzustand bekommt der Besucher aber auch heute noch. Erhalten gebliebene Reste beider Borten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder angefügt.

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