Neuer Glanz für Apostel und Heilige

Die 14 Chorskulpturen im Halberstädter Dom sind in sehr schlechtem Zustand. Für ihre Restaurierung verwendet Corinna Grimm-Remus nun japanische Seide - das hat es noch nirgendwo gegeben.

Von Christian Schafmeister

Wer hat das schon, dass ihm zwei Heilige bei der täglichen Arbeit auf die Finger schauen! Bei Corinna Grimm-Remus ist das tatsächlich so. Wenn sie an ihrem Schreibtisch sitzt, stehen St. Stephanus und St. Sixtus links und rechts überlebensgroß neben ihr. Doch nicht nur das ist außergewöhnlich am Arbeitsplatz der Restauratorin. Denn ihr Schreibtisch zwischen den Skulpturen der beiden Schutzpatrone des Halberstädter Doms steht auch nicht in einem Büro oder einem Atelier.

Er steht vielmehr in 4,50 Meter Höhe im Chor des imposanten Kirchenbaus auf einem Gerüst. Von dort aus kümmert sich die Restauratorin nicht nur um die beiden Schutzpatrone, sondern auch um die Figuren der zwölf Apostel, die an beiden Seiten des Chores stehen. Das Problem ist: alle 14 Figuren aus dem frühen 15. Jahrhundert sind in einem sehr schlechten Zustand, gängige Methoden der Restaurierung helfen da nicht mehr.  Und so geht  Corinna Grimm-Remus  einen völlig neuen Weg und nutzt für das ambitionierte  Projekt japanische Seide. „Dieses Material ist tatsächlich noch niemals   für ein solches Vorhaben verwendet worden, auch daher ist diese Arbeit  für mich  ein absoluter Höhepunkt.“

Begonnen hat alles 2014 aber mit einem niederschmetternden Befund. Eigentlich sollten Studenten einen Teil der 14 Skulpturen nur  mit Pinsel und Staubsauger   vom Staub  befreien. Doch schnell wird klar: Wird der Staub entfernt, lösen sich auch die Farbschichten mit ab. „Das war für mich ein echter Schock, ich habe selten Figuren in einem so schlechten Zustand gesehen“, berichtet die Restauratorin. „Der Schmutz in den Gewandfalten war teils zentimeterdick.“ Und so entwickelte sich das kurze Studentenprojekt zu einer mehrjährigen  Mammutaufgabe. Zunächst mussten die Schäden genau dokumentiert werden.  So wurden von jeder Figur 300 Fotos von einer Drohne geschossen, die in ein 3-D-Modell eingeflossen sind. „Als Restauratorin bekommt man  es jedoch gleich mit der Angst, wenn eine Drohne zu nah an solch kostbaren  Skulpturen vorbeifliegt“, erklärt die Magdeburgerin. Daher  seien zunächst umfangreiche Tests durchgeführt  worden. Danach war klar: Näher als  zwei Meter darf sich die Drohne  den zwölf Aposteln und den beiden Heiligen keinesfalls nähern, um Schäden – etwa durch die Abwinde der Fluggeräte – sicher vermeiden zu können. Doch Corinna Grimm-Remus setzt auch auf die klassische Variante und schoss von jeder Figur noch einmal 300 Fotos mit ihrer Kamera. „Der Aufwand dieser Voruntersuchungen wird oft unterschätzt.“

Danach stellten sich die Restauratorin zwei Fragen: Wie können die Farbschichten, die an vielen Stellen bereits abblättern,  bearbeitet werden, damit sie wieder am Stein haften? Und wie können  die Figuren gereinigt werden, ohne dass die Farbschichten beschädigt werden? „Da  hat es  bei mir natürlich von Beginn an im Kopf gerattert“, berichtet die Restauratorin.  Nach  vielen Versuchen hatten sie  und eine Studentin der FH Potsdam dann tatsächlich eine Lösung gefunden: Japanische Seide!

Restauration der Skulpturen im Halberstädter Doms ist eine filigrane Aufgabe

Die Seide wird zunächst in kleine Stücke  von zehn mal zehn Zentimeter geschnitten und danach in Leim aus der Schwimmblase eines Fisches,  des Stör, getränkt.  Die  kleinen Seidenstücke  werden dann  gut zehn Minuten angedrückt und  dann vorsichtig abgezogen. „Der Störleim aus der Seide durchdringt dabei die Farbschicht, wirkt wie ein Kleber und befestigt die Farbschicht wieder am Stein“, erklärt die 42-Jährige das Prinzip. Um vorher den Schmutz entfernen zu können, greift sie zu einem Laser. Unter dem sehr feinen Strahl verbrennt und verdampft der Schmutz, ohne dass die Figuren Schaden  nehmen. Doch der Aufwand ist enorm. „Ich brauche für die Restaurierung für jede der Figuren mehrere Monate.“

Die größten Schäden hat die Restauratorin an den Gewändern der Figuren festgestellt und dafür auch eine Erklärung gefunden: der Gips, der im 15. Jahrhundert als Bindemittel genutzt wurde.  Dieser habe gerade  in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als das Dach des Doms nach Zerstörungen offen stand, sehr viel Feuchtigkeit aufgenommen. „Es gibt von damals Bilder, die einige der Skulpturen schneebedeckt zeigen.“ Mit der Feuchtigkeit sei der Gips aufgequollen und die Farbe abgeblättert.

Was aber treibt Corinna Grimm-Remus bei ihrer mühsamen Arbeit an, die eines nicht bringt: schnelle, sichtbare Erfolge? „Ich möchte alles immer möglichst authentisch erhalten, damit es auch künftige Generationen genau so betrachten können wie wir heute.“ Mit Ergänzungen an den Kunstwerken hält sich die gelernte Steinmetzin und Diplom-Restauratorin bewusst zurück.  „Ich habe sehr viel Respekt vor der damaligen Arbeit der Bildhauer.  Dem habe ich nichts hinzuzufügen, es geht  nicht darum, dass ich mich  mit den Werken verwirkliche.“

Gleichwohl geht die 42-Jährige nicht nur in ihrer Arbeit auf, sie genießt auch die Atmosphäre in dem Kirchenbau. „Ja, mein Arbeitsplatz ist wohl wirklich etwas besonderes“, sagt sie, als sie sich die Schutzbrille für den Laser abnimmt, sich an  die Brüstung des Gerüstes lehnt und sich umschaut. „Speziell an Montagen wie heute. Dann hat der Dom geschlossen und ich bin hier ganz alleine.“ Dann nimmt sie sich auch mal Zeit für ihr Lieblingsstück. Vom Gerüst aus kann man es in einer Nische erkennen, eine Figur Maria Magdalenas aus dem Jahr 1380. „Bildhauerisch herausragend!“ Auch an der Figur hat sie übrigens schon einmal Hand angelegt. Zwischen 2004 und 2006. Ihr aktuelles Projekt wird sie derweil bis 2020 beschäftigen.

Mehr zum Halberstädter Dom lesen Sie hier.