Mit Holzfass und Hightech
Seit mehr als 1000 Jahren werden an Saale und Unstrut Trauben zu Wein gekeltert. Heute spielt die Technik eine wichtige Rolle.
Das Eiweiß muss raus – so viel steht fest. „Der Wein würde mit Eiweiß anders schmecken“, sagt Getränketechnologe André Gussek. „Allerdings nicht, weil er wirklich anders schmeckt, sondern weil der Kopf das so sagt.“ Denn wenn im Wein Eiweiß ist, dann flockt das früher oder später aus. Die Folge ist ein milchiges Getränk – und das würde bei den Klarheit liebenden Weintrinkern zwangsläufig auch eine Trübung des Genusses herbeiführen. „Es geht dabei nur um die Optik, nicht um den Geschmack.“
Also muss gegengesteuert werden. Beim Eiweiß macht man das mit Tannin, also Gerbsäure. Und auch bei allen anderen Problemen mit dem gereiften Traubensaft gibt es Mittelchen und Wege, vermeintliche Fehlentwicklungen geradezurücken. „Die Möglichkeiten sind heute wirklich riesig“, sagt Gussek. Er betreibt einen der bekanntesten Winzerhöfe in Naumburg (Burgenlandkreis). Mehr als zehn Hektar Land bewirtschaftet Gussek in der Saale-Unstrut-Region. 70 000 Flaschen produziert sein Betrieb pro Jahr. Der 62-Jährige kennt sich mit Weinen und der Gegend aus.
Die Veredelung der gepressten Trauben hat ein lange Tradition an Saale und Unstrut. Seit mehr als 1 000 Jahren werden hier Reben geerntet und verarbeitet. Erst von Mönchen, später von speziell dafür ausgebildeten Winzern. Obwohl das Endprodukt heute wie damals Wein ist, hat sich seit dem Beginn freilich viel geändert. „Schon in meiner Zeit ist der Wandel dramatisch“, sagt Gussek. 1982 stieg er in den Traubenanbau ein. „Damals hatte das Weingesetz noch 28 Seiten, heute sind es – etwas überspitzt gesagt – 28 Bände.“
Die Aufblähung der Vorschriften folgt der Zunahme der Möglichkeiten. Um das zu verdeutlichen, führt Winzerhof-Besitzer Gussek in seinen Weinkeller. Und in dem prallen zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite die Holzfässer, die seit Jahrhunderten mit ihrer braunen Schwere in unterirdischen Kavernen liegen. Direkt gegenüber glänzt und schnorchelt es: Edelstahltanks, aus denen Schläuche und Apparaturen ragen. „Die sind doppelwandig“, erklärt Gussek. Im Zwischenraum fließt Wasser, das den Wein kühlt und somit die Gärung verlangsamt. „Dadurch haben die Aromen mehr Zeit, sich zu entwickeln.“
Weinherstellung ist heute mit viel Technik verbunden
Die Kühlung wird – wie Füllstände, Druckintensität und vieles Weitere im Hightech-Keller – von Sensoren überwacht. „Wir machen aber auch noch einiges per Hand“, sagt Gussek. Etwa im Herbst, während der Gärung – der heißesten Phase des Weinjahres. „Da sieht es hier unten aus wie im Labor.“ Täglich werden Proben genommen und analysiert: Zucker, Säure, Geruch, aber auch Spezialwerte wie aminosäuregebundener Stickstoff – oder eben Eiweiß. „Wein ist ein biologisches Produkt – wenn man da nicht die Hand drauf hat, gibt man es aus der Hand“, sagt Gussek.
Manchmal etwa komme es vor, dass der Wein nach fauligen Eiern riecht. „Dann drehen die Hefen gerade am Rad“, erklärt Gussek. Kriegen die kleinen Pilze nämlich zu wenig Futter, produzieren sie auch mal Schwefelwasserstoffe – und dann riecht es im Weintank wie im Ziegenstall. „Wir probieren, so wenig wie möglich einzugreifen“, sagt Gussek. Bei solchen gravierenden Fehlentwicklungen müsse man das aber tun. Und für jedes Wein-Wehwehchen gibt es eine Medizin. Gegen den schlechten Geruch etwa helfen Aminosäuren. Durch die haben die Hefen wieder genug Futter und „drehen nicht mehr am Rad“.
Ortswechsel: Fünf Kilometer entfernt von Winzerhof und Weinkeller liegt oberhalb der Saale einer von Gusseks Weinbergen. 15 Prozent steigt der Hang an, das Terrain ist schwer erreichbar, etwa 10 000 Reben stehen hier. Wenigstens an diesem Ort sollte doch alles so sein wie früher, zu Zeiten der Mönche? Thomas Gussek schüttelt den Kopf. „Der Weinanbau ist mittlerweile eine Wissenschaft für sich“, sagt der Sohn des Winzerhofchefs. Er muss es wissen. Gussek Junior, Mitte 30, ist Winzer und studierter Weinbauer. Er hat an Mosel, Saar und in Baden gelernt und gehört zur neuen Generation an Saale und Unstrut.
Gerade hat der 34-Jährige einen Silvaner am Wickel. Die Triebe mit den Weißwein-Trauben hängt er über einen Draht. Methode: Spaliererziehung. „Das ist die weltweit am weitesten verbreitete Variante beim Wein.“ Das habe vor allem wirtschaftliche Gründe. Denn die Rebstockreihen bilden ein Spalier. Und in den Korridoren dazwischen können Maschinen fahren – etwa um Pflanzenschutzmittel aufzutragen. Bei den Römern sei der Wein noch wie ein Busch gehalten worden. Mitunter wurden auch Bäume gepflanzt, an denen er hochranken konnte. Unterschiede bei den Sorten wurden kaum gemacht. „Das ist heute natürlich anders.“ Der Silvaner etwa neige dazu, alle Nährstoffe in die äußersten Triebe zu leiten. „Deswegen hält man diese besonders kurz, damit auch die anderen etwas abbekommen.“
Der Nährstofftransport, die Krümmung der Ranken und das Verhältnis von Blättern zu Trauben – darüber denkt Gussek im Weinberg nach. Manchmal schaut er aber auch voraus und entwickelt Visionen. Ökologische Weine, sagt er, wären ein Ziel. „Das gibt es hier in der Region noch nicht.“ Eine Konsequenz wäre der Verzicht auf konventionelle Pflanzenschutzmittel, die derzeit noch fast unumgänglich sind. „Aber auch die Alternativen entwickeln sich ja weiter“, sagt Thomas Gussek. Auch im Weinbau macht der Fortschritt also keinen Halt.