Die Mutter Teresa des 13. Jahrhunderts
Leben und Wirken der Elisabeth von Thüringen.
Von Kai Agthe
Leben und Wirken der Elisabeth von Thüringen verbindet man mit der Wartburg. Aber auch die Neuenburg bei Freyburg erzählt von der mildtätigen Landgräfin, die vier Jahre nach ihrem frühen Tod heiliggesprochen wurde.
Elisabeth von Thüringen – Wunder im Ehebett
Sie hat zu ihrer Zeit wahrlich Ungeheuerliches getan, diese Elisabeth von Thüringen: Einmal nahm sie – so weiß die Legende zu berichten – einen Aussätzigen, pflegte und wusch ihn und legte ihn dann in das Bett, das sie mit ihrem Ehemann, dem Thüringer Landgraf Ludwig, teilte. Als dies dem Landgrafen gemeldet wurde, eilte er zu ihr, um sich selbst von dieser Ungeheuerlichkeit zu überzeugen. Doch als Ludwig die Decke des Ehebettes zurückschlug, erblickte er statt des erwarteten Aussätzigen den gekreuzigten Heiland. Mit Staunen betrachteten die Menschen des Hofgesindes dieses Wunder. Landgraf Ludwig aber segnete seine Gemahlin, die in die Knie gesunken war, und hieß alles gut, was sie getan hatte.
„Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass sich dieses im Mittelalter beliebteste Elisabeth-Wunder auf der Neuenburg zugetragen haben soll“, erklärt Jörg Peukert, Direktor des Museums Schloss Neuenburg bei Freyburg (Burgenlandkreis). Aufgezeichnet hat dieses Wunder, eines von vielen, das sich um Leben und Wirken der Reichsgräfin und Heiligen rankt, Dietrich von Apolda (um 1225 - nach 1302), erster Elisabeth-Biograf.
Elisabeth von Thüringen in Neuenburg ganz nah
Wie oft Elisabeth von Thüringen (1207-1231) auf der Neuenburg weilte, lasse sich nicht mit Bestimmtheit sagen, erklärt Peukert. Besuche sind allein für die Jahre 1224 und 1225 urkundlich belegt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Elisabeth zusammen mit ihrem Gemahl Ludwig IV. und dem landgräflichen Hofstaat aber wesentlich häufiger auf der ab 1090 errichteten Feste zu Gast. In den 1220er Jahren, da Elisabeth hier weilte, wurde auch die berühmte Doppelkapelle fertiggestellt.
„Die Authentizität dieses mit Elisabeth verbundenen Ortes ist durch nichts zu ersetzen – das macht den Wert der Neuenburg aus“, sagt der Museumschef. Hier könne man eine „haptische Nähe“ zu der Landgräfin und Heiligen herstellen. Peukert nennt nur zwei Beispiele für Elisabeths virtuelle Nähe: Im Wohnturm der Neuenburg mit seinem Kamin habe Elisabeth so manche Stunde zugebracht. Auch in der Oberkapelle der Doppelkapelle dürfte sie oft anzutreffen gewesen sein. „Doch was mag Elisabeth wohl beim Blick in die Unterkapelle gedacht haben?“ Eine Frage, die sich Peukert oft stellt. Denn während die Oberkapelle der Landgrafen-Familie vorbehalten war, kamen in der Unterkapelle jene zusammen, die dafür sorgten, dem Hofstaat einen angenehmen Aufenthalt zu bieten: das Gesinde. Und ausgerechnet in dessen Gesellschaft scheint sich die Landgräfin stets wohler gefühlt zu haben als in adlig-höfischem Umfeld.
Elisabeth von Thüringen – Nächstenliebe einer Adeligen
Der Kontrast könnte wohl größer kaum sein – die Fallhöhe aber auch nicht: Eine ungarische Königstochter und Thüringer Landgräfin wendet sich zusehends von ihrem Stand ab und den Ärmsten der Armen zu. Seit früher Jugend hegte Elisabeth aus christlichen Motiven heraus eine Abneigung gegenüber den am Landgrafen-Hof gepflegten Prunk. Und je älter sie wurde, umso mehr lehnte sie die höfische Lebensform ab, umso inniger widmete sie sich der Krankenpflege und dem Gebet.
Elisabeth von Thüringen und Ludwigs Tod
Ihre Haltung radikalisierte sich, als ihr Gemahl, Landgraf Ludwig IV., im Jahr 1227 auf dem Kreuzzug ins Heilige Land starb. Zwar waren Ludwig und Elisabeth 1221 aus rein herrschaftspolitischen Gründen verehelicht worden, aber vieles deutet darauf hin, dass das Paar in aufrichtiger Liebe zueinander verbunden war.
Nach Ludwigs Tod fehlte Elisabeth ihr der Beschützer, der sie vor den wachsenden Anfeindungen schützen konnte. „Viele Vertreter des Hochadels werden Elisabeth wegen ihres Einsatzes für die Armen und Kranken schlicht für verrückt gehalten haben“, erklärt Peukert. Ihr einziger Vertrauter war in den folgenden Jahren ↗Konrad von Marburg (um 1185-1233), Elisabeths Beichtvater.
Die verwitwete Landgräfin – ein ungeheurer Vorgang in der Feudalkultur des Hochmittelalters – verließ bald die Wartburg, lebte unter ärmlichen Umständen in Eisenach und ging dann nach Marburg, wo sie ein Hospital gründete. Die dazugehörige Kapelle widmete sie dem heiligen ↗Franziskus von Assisi (1181-1226), dessen Armutsbewegung sie folgte. Es wird berichtet, dass sie sich unermüdlich um die Kranken sorgte und ihr Vermögen an die Armen verteilte. 1231 ist Elisabeth, erschöpft durch ihr Leben in Armut und Askese, im Alter von 24 Jahren gestorben.
Elisabeth von Thüringen Mutter der Armen
Doch auch nach ihrem Tod sorgte sie für Furore. Dass nur vier Jahre bis zur Kanonisierung als Heilige vergingen, war selbst für das an Heiligsprechungen nicht arme 13. Jahrhundert eine kurze Zeit, sagt Peukert. Aber ihre vorbildhaft christliche Lebensführung und die vielen Berichte über Wunder, die sich zu Elisabeths Lebzeiten und an deren Grab ereignet haben sollen, führten zu der schnellen Aufnahme in den Kreis der Heiligen.
Elisabeth hat aber in der Region nicht nur auf der Neuenburg Spuren hinterlassen. Kurz nach der Heiligsprechung im Jahre 1235 durch Papst Gregor IX. dürfte jene Elisabeth-Skulptur entstanden sein, die in der Elisabethkapelle des Naumburger Domes zu sehen ist. Jener Ort, für den der Leipziger Malerstar Neo Rauch 2007 drei rubinrot-weiße Fenster mit Szenen aus dem Leben der Landgräfin stiftete.
Und bereits der Wittenberger Reformator Martin Luther schätzte Elisabeth. Sie war die einzige Heilige der katholischen Kirche, die er als solche gelten ließ. Auch deshalb ist Elisabeth, diese Mutter Teresa des 13. Jahrhunderts, heute eine Heilige der Ökumene.