Eine Nacht im Bett des Pfalzverwalters
Viele Herrscher wie Otto II. haben im Mittelalter auf der Anlage in Tilleda Station gemacht. Doch wie lebten dort einfache Bauern? Wir haben es ausprobiert.
Von Christian Schafmeister
Kurz vor Mitternacht ist Michael Dapper endgültig in seinem Element. Der Mond leuchtet in dieser Mai-Nacht die weitläufige Anlage der Königspfalz Tilleda unterhalb des Kyffhäuser-Denkmals hell aus. Dapper sitzt vor einem alten Bauernhaus an der Feuerstelle, hat sich ein Fell über die Schulter geworfen und trägt ein germanisches Heldenepos aus dem 11. Jahrhundert vor. Blutrünstig, aber mit Happy-End kommt die Sage von Waltharius daher. Im Kampf Walthers mit den Recken König Gunthers verlieren die Akteure ein Bein, ein Auge, ein Bein, eine Hand und sechs Backenzähne. Dapper schmunzelt. „So haben sich die Leute damals halt amüsiert.“
Und wie haben die Menschen damals auf der Pfalz gelebt? Um das herauszufinden, verbringe ich mit dem Leiter des Freilichtmuseums dort einen Tag und eine Nacht. Am Nachmittag rücke ich mit Schlafsack und Isomatte an und bekomme in dem rekonstruierten Bauernhaus aus dem 11. Jahrhundert den wohl besten Schlafplatz zugewiesen – früher vermutlich das Zimmer des Pfalzverwalters: Das einzig abgetrennte Zimmer in dem Holzhaus, sogar ausgestattet mit einem Bett, das hatte ich nicht erwartet. Die anderen der damals wohl zehn Bewohner schliefen mit Wolldecken auf breiten Holzbänken rund um die Feuerstelle. Im Winter hielt sich im hinteren Bereich des 14 Meter langen und sechs Meter breiten Gebäudes auch noch das Vieh auf. Die Lebensmittel wurden in Vorratsgruben gelagert, damit sie möglichst kühl blieben.
„Was wollen wir heute Abend essen?“, fragt Dapper am späten Nachmittag. Einfache Bauernkost sollte es sein, wie sie die Bewohner damals zubereitet haben. Darüber sind wir uns schnell einig. Und der Museumsleiter macht vier Vorschläge: Kraut mit Speck und später Käse zum selbst gebackenen Brot, Gerstengrütze in Milch mit Speck, Grüne Bohnen und Brot oder Lauch, Thymian und geröstetes Brot. Die Wahl fällt auf Kraut mit Speck und selbst gebackenes Brot. „Richtige Rezepte gab es damals noch nicht, daher hatte die Kreativität freien Lauf.“
Die Zubereitung war aber aufwendig. „Wasser holen, Feuer schüren – praktisch jeder Handgriff dauerte länger.“ Die Erfahrung machen auch wir. So dauert es eine halbe Stunde, bis ich mit ungeübten Fingern aus dem dicken Teig aus Weizenmehl und Hafer 20 Brötchen geformt habe. Das ist aber nicht alles: Der Lehmofen muss zwei Stunden vorgeheizt werden, bis es mit dem Backen losgehen kann. Speck und Kraut werden klein geschnippelt, dann wird alles in einem Topf über der Feuerstelle zubereitet. Der Aufwand aber lohnt. Das Abendessen, das mit Löffeln aus alten Holzschalen gegessen wird, schmeckt herzhaft und ist gut gewürzt!
So viele Menschen lebten zur Blütezeit auf der Pfalz Tilleda
Ihre Blütezeit erlebt die Pfalz um das Jahr 1 000. Zu normalen Zeiten leben damals fünf bäuerliche Großfamilien auf dem Areal, rund 50 Personen. Doch auch die Herrscher machen regelmäßig Station in Tilleda. Dort ausgestellte Urkunden belegen Aufenthalte von Otto II., Otto III., Konrad II. und Konrad III. Eine feste Hauptstadt hatten die Kaiser und Könige damals nicht, ihre Herrschaft übten sie aus, in dem sie viel herumreisten. Pfalzen waren beliebte Stationen. „Der Kaiser blieb meist zwei oder drei Wochen. Und in dieser Zeit war Tilleda die Hauptstadt des Reiches. Wer vom Kaiser etwas wollte, musste hierherkommen.“ Untergebracht war der Herrscher mit seinem Gefolge in einem Bereich, der durch einen Wall getrennt war von dem Areal, auf dem die Bauer lebten. Dort gab es eine Kirche, eine Versammlungshalle und zwei Wohntürme. Von diesen Gebäuden sind heute aber nur noch die Reste der Grundmauern zu sehen.
Die Bedeutung der Pfalz macht auch die Heirat von Otto II. mit Prinzessin Theophanu aus Konstantinopel deutlich. „Die Hochzeitsurkunde ist nicht nur eine der vornehmsten des Mittelalters“, berichtet Dapper, „in ihr wird Theophanu neben Provinzen in Italien und den Niederlanden auch die Pfalz Tilleda übertragen“. Dapper vermutet, dass die Anlage wirtschaftlich lukrativ war. So taucht sie noch Mitte des 12. Jahrhunderts im Tafelgüterverzeichnis des Königs auf. „Das waren Stätten, aus denen die Herrscher Einnahmen bezogen haben, die also liefern mussten“, erzählt er bei einem Rundgang über das Gelände der Pfalz, die als einzige in Europa komplett ausgegraben worden ist.
Nach dem Essen räumt Dapper mit einem Vorurteil auf. „Das Mittelalter war nicht so dreckig wie viele denken.“ Die Menschen hätten durchaus auf die Körperhygiene geachtet. Zum Beleg holt er aus einem Kästchen einen Löffel, mit dem das Ohrenschmalz entfernt wurde, eine Pinzette, einen Fingernagelschneider und einen Kamm. Die wurden aus Holz, Knochen und Geweih gefertigt. Doch nicht nur das: „Schon im Frühmittelalter finden sich Hinweise auf ein wöchentliches Bad.“ Das änderte sich erst mit den Seuchen ab dem 14. Jahrhundert. „Ab da wurde das Bad aus Angst vor Ansteckung gemieden“, sagt Dapper und bearbeitet dabei den Holzgriff seines Messers. „So viel Müßiggang wie heute hat es nicht gegeben. Selbst, wenn die Leute abends in der Runde saßen, wurde gearbeitet.“ Die Männer kümmerten sich um die Waffen, die Frauen nähten – und einer schaute immer nach dem Feuer.
Am Morgen sitzen wir wieder am Feuer. Bevor ich nach der Nacht im Bett des Pfalzverwalters Schlafsack und Isomatte zusammenpacke, gibt es noch ein deftiges Frühstück mit Zwiebeln, Speck und dem selbst gebackenen Brot vom Vortag.