Domgeschichte zum Anfassen

Die Magdeburger Kathedrale war einst das höchste Gebäude der Welt. Demnächst können die Besucher im neuen Museum Ottonianum die 300-jährige Bauzeit nacherleben.

Von Christian Schafmeister

Wenige Tage vor der Eröffnung des neuen Dommuseums Ottonianum  in Magdeburg Anfang November sitzt Claus-Peter Hasse angespannt an seinem Schreibtisch, nur einen Steinwurf vom Dom entfernt. Der Terminkalender ist noch voller als sonst, und  eine wichtige Kollegin meldet sich zu allem Überfluss auch noch krank – jetzt, wo die Anspannung vor dem Start des neuen Museums ohnehin mit jedem Tag  steigt. Doch als er auf seinem Rechner einen kleinen Animationsfilm startet, hellt sich die Miene des 56-jährigen Projektleiters sofort auf. In rund drei Minuten wird dort die gut 300 Jahre lange Baugeschichte  des Domes in all ihren Phasen nachgezeichnet – vom  verheerenden  Stadtbrand 1207, dem auch der Vorgängerdom zum Opfer fiel, über den Start des Neubaus mit dem Hohen Chor 1209 bis hin zur Vollendung des Baus mit der Fertigstellung der beiden Türme im Jahre 1520. Der Hauptteil der Arbeiten bis zur Weihe 1363 war allerdings bereits nach 150 Jahren erledigt.

„Das ist für so ein Bauwerk recht schnell“, betont Projektleiter Hasse, immerhin handelt es sich heute  um die drittgrößte Kathedrale in Deutschland. Ohnehin hat es ihm der  Magdeburger Dom angetan. „Es ist schließlich die erste in gotischem Stil geplante Kathedrale in Deutschland und die einzige, die noch im Mittelalter vollendet wurde“, erklärt der Projektleiter.  Doch Hasse kann sogar noch mit einem weiteren Superlativ aufwarten. „Bis zum Bau des Straßburger Münsters war der Magdeburger Dom mit seinen  104 Meter hohen Türmen das höchste Gebäude der Welt.“ Zum Vergleich: Der Nordturm in Straßburg kommt auf 142 Meter und ist das höchste im Mittelalter vollendete Gebäude.

Mit seiner Begeisterung für die Baugeschichte des Doms an der Elbe möchte Claus-Peter Hasse nun auch die Besucher des Ottonianum anstecken. Der Animationsfilm wird dabei auf einem riesigen Bildschirm  im neuen Museum gezeigt. Doch nicht nur das: Ab Dezember können die Besucher auf dem Bildschirm auch eine Reihe interaktiver Elemente nutzen. Dabei können sie einen bestimmten Zeitpunkt auswählen und sich den jeweiligen Bauzustand anschauen. Darüber hinaus ist es möglich, einzelne Kunstwerke anzusteuern und dann die entsprechenden Informationen über die Bilder oder Skulpturen nachzulesen. „Auch ich habe den Dom auf diese Weise noch einmal neu kennengelernt.“

Die Baugeschichte mit Tafeln oder anhand eines Modells zu vermitteln, kam für Hasse nicht in Frage. „Zum einen wollen wir die Besucher einbinden und selbst auf Entdeckungstour schicken. Zum anderen ist ein Modell statisch, das heißt, man kann dort Planänderungen gar nicht nachvollziehen.“ Und  von denen hat es beim Bau des  Magdeburger Doms einige gegeben.

Als Erzbischof Albrecht II. nach dem Stadtbrand 1207 entschied, den schwer beschädigten ottonischen Dom durch einen Neubau zu ersetzen, begannen die Arbeiten mit der Errichtung des Hohen Chores. „Die Planung war gotisch und damit sehr progressiv“, erläutert Hasse, „doch dann ging man bei den Planungen plötzlich einen Schritt zurück und baute    konservativ weiter.“ Das war aber nicht die einzige Änderung. So wurde später das bereits fertige Westportal wieder eingerissen.  „Man wollte einfach noch größer bauen“, erklärt Hasse die Entscheidung, die auch im Inneren des Doms Auswirkungen hatte. So finden sich drei Skulpturen aus dem Westportal später im Hohen Chor wieder.

Doch nicht nur die Planungen wurden an einigen Stellen entscheidend verändert, der Dom-Bau verlief auch nicht immer mit dem gleichen Tempo und der gleichen Euphorie wie beim Start des Projektes. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts waren die Bedingungen günstig, es herrschte eine regelrechte Aufbruchstimmung. Deshalb stand auch ausreichend Geld für das Projekt zur Verfügung. „Es gab eine enorme Anschubfinanzierung“, berichtet Hasse. So streckte 1209 Domdechant Albert von Biesenrode 100 Mark Silber von Kaiser Otto IV. vor. „Das war sehr viel Geld, eine Mark entsprach 234 Gramm Silber.“ Zur Einordnung: Ein Haus mittlerer Art und Güte im Zentrum Magdeburg kostete damals acht Mark.

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und nach der Weihe 1363 flachte die Begeisterung aber merklich ab. „Die Pflicht war erfüllt, die Kirche geweiht und damit Gott übergeben.“ Neuen Schwung nahm das Projekt dann aber noch einmal um das Jahr 1500 auf. Bis 1520 wurden die beiden Türme gebaut und die Errichtung des Domes damit endgültig  abgeschlossen. „Die Wirkung der Türme auf die Menschen muss enorm gewesen sein“, betont Hasse. Ohnehin sei es kurz vor der Reformation, die 1524 auch nach Magdeburg kam, noch einmal zu einer Blüte von Kunst und Kultur gekommen.

Von seiner Faszination hat der Dom jedoch bis heute nichts verloren. Und so hat sich Hasse auch die frisch sanierten Original-Skulpturen der beiden Schutzpatrone Mauritius und Katharina in sein neues Museum geholt. Sie erwarten die Besucher am Ausgang des Ottonianum. Und schauen die Besucher von dort auf den Giebel im Westportal des Domes, entdecken sie über der Uhr  ebenfalls die beiden Schutzpatrone, links und rechts einer Strahlenkranzmadonna. Das sind allerdings nur Kopien aus Beton.