Die Kraft, Menschen zu verwandeln

Bruder Antonius Pfeil, Prior des Benediktinerklosters auf der Huysburg, spricht über dessen Geschichte - und über die Chancen in einer instabil gewordenen, fragilen gesellschaftlichen Realität.

Von Andreas Montag

Es könnte der Unterschied zum Alltagsgewimmel nicht größer und spürbarer sein als hier. Dabei ist es ja kein lebensferner Ort, im Gegenteil. Nur sieht man sich selbst und all die sonst so dringenden weltlichen Dinge in dieser großen Stille mit einem Mal distanzierter, vielleicht sogar heiterer.
Eben noch, an einem gewöhnlichen Werktag, bis du gewohnt flott über die Autobahn 14 und eine Bundesstraße nach Halberstadt gefahren, bist Baustellen-Umleitungen gefolgt, schließlich auf zuletzt waldbestandener Piste hurtig hierher, auf den Huy, gekurvt – und plötzlich ist der Umstand, dass vor Ort an ein stabiles Mobilfunknetz nicht zu denken ist, überhaupt kein Aufreger mehr.

Der Besuch im Kloster Huysburg fängt vor dem Läuten an der Pforte an. Zehn Minuten Zeit auf dem Burgberg sind offenbar schon hinreichend genug, um das, was man mit einem Modewort als „Entschleunigung“ beschreibt, am eigenen Leib zu erfahren. Und an der Seele. Dem dankbaren Gläubigen mag dies als ein kleines Wunder erscheinen, dem Ungläubigen dagegen zunächst sogar unheimlich, wenn auch nicht unangenehm sein – dieser Berg hat jedenfalls die Kraft, den Menschen zu verwandeln.

Mit einem Lächeln lässt du das Handy, ohne dass sonst vermeintlich kaum noch ein Schritt getan, eine Entscheidung bedacht werden kann, achtlos in die Jackentasche gleiten. Es würde ja ohnehin gleich ausgestellt worden sein – warum also nicht sofort?

Drinnen dann, in Erwartung des Priors der Mönchsgemeinschaft, hört man wahrhaftig das leise Ticken einer Uhr. So still ist es hier. Bruder Antonius kommt ein paar Minuten nach der verabredeten Zeit, eine Gruppe von Besuchern musste noch begleitet werden. So ruhig dieser Ort wirkt – der Tag der Benediktiner ist ausgefüllt mit Gebeten und Arbeit – geistlichen wie weltlichen Verrichtungen also. Zu Letzteren gehören die Verwaltung und Organisation des Klosterbetriebs. Und eine Kaffeemaschine gibt es hier natürlich auch. So können wir gestärkt ins Gespräch kommen. Zunächst darüber, was den gelernten Ostdeutschen und Nicht-Katholiken zuerst, als er von dem Kloster hörte, in Erstaunen versetzt hatte, noch bevor er die Stille auf dem Huy erfuhr – ganze neun Kilometer vom betriebsamen Halberstadt entfernt.

Vorgänger des Kloster Husyburg sind fast 1000 Jahre alt

Seit fast 1 000 Jahren gibt es klösterliches Leben auf dem Berg, die erste Kirche wurde 1058 geweiht, mit dem Bau der heute noch bestehenden um das Jahr 1110 begonnen. Aber auch in den Jahren der glaubensfernen, kirchenfeindlichen SED-Herrschaft hat es keinen grundlegenden Bruch dieser langen Tradition gegeben – so ungewöhnlich Klöster in der DDR tatsächlich gewesen sind.

Schwierigere Zeiten hat es zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben. 1804, im Zuge der Auflösung der Klöster durch den preußischen Staat, wurden die Huysburg zu einer Domäne, also einem Landwirtschaftsbetrieb, umgewidmet, die Klosteranlagen überwiegend abgebrochen. Der letzte Prior des Klosters übernahm als Pfarrer für die umliegenden Gemeinden die Kirche, die man unangetastet ließ. Während der NS-Diktatur wurde dann auch noch die katholische Schule aufgelöst.

Später, in der DDR, existierte auf dem Huy ein Priesterseminar, das vom zuständigen Erzbistum Paderborn betrieben und unterhalten wurde. Wallfahrten führten auf den Berg, 1972 begann Pater Alfred Göbel mit Unterstützung der polnischen Benediktinerabtei Tyniec bei Krakow und des Bischofs Johannes Braun mit der Gründung eines Benediktinerklosters. Es war das einzige seiner Art in der DDR und zählte zuletzt neun Mönche, die in Nachbarschaft eines staatlichen Pflegeheimes relativ unbehelligt ihre Werke verrichteten. Freilich, sagt der 1951 geborene Bruder Antonius, habe es immer wieder Versuche der Behörden, zumal durch Stasi-Leute, gegeben, den frommen Männern auf den Zahn zu fühlen oder bei ihnen sogar einen Fuß in die Tür zu bekommen – aber ohne nennenswerten Erfolg.

Heute sind es noch sieben Mönche auf dem Huy – also nicht eben ein „Großbetrieb“. Aber wie haben sich der Berg, das Kloster und seine Anlagen verändert! Einen Klosterladen samt Café gibt es, ein Gästehaus, in dem sich Reise- oder Tagungsgruppen einmieten können und bestens mit Essen versorgt werden. Immerhin gibt das Gästehaus 35 Menschen Arbeit, teils auch Ausbildung.

Schon gleich nach der friedlichen Revolution in der DDR hatten die Mönche ein provisorisches Café vor dem Tor eröffnet und neugierige Wanderer bewirtet. Viele sind gekommen, bis heute. Und manche wollen auch eine Weile bleiben zur inneren Einkehr. Das ist bei den Benediktinern möglich, ist man bereit, sich deren streng geregeltem Tagesablauf zu unterwerfen. Pauschale Anfeindungen oder gar Aggressivität gegenüber der Kirche seien ihm hier noch nie begegnet, sagt Bruder Antonius mit Nachdruck. Dies habe er im Westen stärker wahrgenommen.

Im Osten treffe er überwiegend auf Freundlichkeit und Neugier. Im Zug von Halberstadt nach Magdeburg, im Habit reisend, also in einer Mönchskutte, hat ihn einmal ein Mann angesprochen und gesagt: „Ich dachte, das gibt es nur im Fernsehen!“ Er glaube im Übrigen, sagt Bruder Antonius, dass sich künftig wieder mehr Menschen der Kirche zuwenden werden: „Die gesellschaftliche Realität, die Erfahrung der Fragilität, wird mehr Menschen dazu bewegen, ein anderes Leben zu beginnen.“