Backstein-Kunst aus Italien an der Elbe

Seine Strahlkraft verdankt Kloster Jerichow Handwerkern aus der Lombardei, die vor 800 Jahren in die Region kamen. Und später hat dort auch Karl Friedrich Schinkel seine Finger im Spiel.

Von Christian Schafmeister

Im flachen Jerichower Land, im Dunstkreis der Elbe, sind sie bereits aus großer Entfernung zu sehen: die beiden markanten Türme  der alten Klosteranlage in Jerichow, eines der bekanntesten Motive und Aushängeschilder der  Straße der Romanik. Doch fragt man Reinhard Schmitt nach der größten Besonderheit in Jerichow,  beginnt  er nicht mit den Türmen. Der Bauhistoriker  erzählt vielmehr von famosen Handwerkern aus Norditalien und ihren berühmten Backsteinen.

Die Fachleute aus der Lombardei nehmen Mitte des 12. Jahrhunderts ihre Arbeit in Jerichow auf und hinterlassen in der Folge vor allem an den drei Apsiden, den halbrunden Abschlüssen des Chorraumes der Kirche, ihre Spuren. „Die Backsteine dort  sind  von feinster Bearbeitung  und höchster Qualität“,  betont Schmitt. Doch nicht nur das:  Kloster Jerichow, 1144 als Kollegiatsstift der Prämonstratenser gegründet, wird durch die italienische Handwerkskunst zum  Vorbild  für  zahlreiche ähnliche Bauwerke in der  Region wie dem Dom in Havelberg. „Letztlich ist Kloster Jerichow der älteste Backsteinbau im Norden  Europas“, betont Bauhistoriker Schmitt. „Sein Bau war damals ein Paukenschlag und wirkte wie ein Fanal.“

Für die Herstellung der Backsteine benötigen die Handwerker zunächst einmal viel Lehm. Den besorgen sie sich in den nahen Elbauen. Der Lehm wird geknetet und in Holzformen gepresst –  je  nach der  Form, die gerade am Bauwerk gebraucht wird. „Für Zierformen gibt  es damals schon spezielle Holzformen“, erläutert Schmitt. Was von der Lehmmasse über den Rand der Form quillt, wird mit einem Brett oder einem Draht feinsäuberlich abgestrichen. „Mitte des 12. Jahrhunderts gibt es natürlich noch keine DIN-Vorschrift, dennoch waren die Backsteine sehr gut beschnitten, und es gab eigentlich keine brüchigen Kanten.“

Nach dem Beschnitt werden die Backsteine an der Luft getrocknet und später in Freilandöfen gebrannt. Befeuert werden die Öfen mit Holz, das die Handwerker in in großen Mengen in den  umliegenden Wäldern schlagen.  Neben dem sauberen Beschnitt ist wichtig, dass alle Backsteine möglichst bei der selben Temperatur gebrannt werden.

Doch den Fachleuten aus Italien geht es nicht nur um die reine Produktion der Backsteine, sondern auch um die kunstvolle Verarbeitung. Spezielle Formen wie kleine Rundbögen werden  an der Fassade für Schmuckstreifen, sogenannte Friese,  verwendet. Zudem wird die Außenfläche durch zahlreiche schmale Wandstreifen, sogenannte Lisenen, gegliedert und unterteilt. Doch selbst auf einzelnen Backsteinen finden sich Verzierungen. Meist sind es feine, parallel verlaufende Rillen, sogenannte Riefelungen, die mit einem kammähnlichen Werkzeug noch vor dem Brennen in den Backstein eingeritzt werden.

Das Kloster Jerichow wurde ganz bewusst aus roten Backsteinen gebaut

Doch nicht nur mit Details wollen die Handwerker aus Italien ein Zeichen setzen, sondern auch mit der Strahlkraft des Bauwerkes – und das im wahrsten Sinne des Wortes. „Das Rot der vielen Backsteine hat natürlich sehr weit in die Landschaft hinein geleuchtet“, sagt Bauhistoriker Schmitt. Heute gewinnt man vor allem im Innenraum der Kirche noch einen guten Eindruck von der Strahlkraft der roten Backsteine. Doch nicht nur das: Dort finden sich auch zahlreiche Beispiele für die Backstein-Architektur und die Bauweise in der Romanik.

Sofort ins Auge fallen die sechs Rundpfeiler aus Backstein, jeweils drei auf jeder Seite des Innenraums. Über einem sogenannten Halsring befindet sich ein Kapitell in Trapezform. „Vermutlich sind die Backsteine dort nachträglich bearbeitet  und so in die passende Form gebracht worden“, sagt Schmitt.  Den oberen Abschluss über dem Trapez bildet ein sogenannter Kämpfer, ein Sandsteinblock, der den Rundbogen zum nächsten Rundpfeiler trägt.

„Die Italiener haben ihr Handwerk wirklich sehr gut beherrscht“, betont Schmitt. Wie gut, dass zeigt sich nach ihrer Abreise. „Vermutlich waren die Fachkräfte aus der Lombardei nur in der Anfangszeit in Jerichow und  haben ihre Kenntnisse dann an örtliche Handwerker weitergegeben“, erklärt der Bauhistoriker. Das Ergebnis, so der Experte, sehe man noch heute. „Die Qualität der Steine sackte nach dem Bau der Apsiden im Osten nach Westen immer weiter ab.“

Dass die Klosteranlage mit der in 1960er bis 1980er Jahren wieder hergestellten Klausur heute noch so gut erhalten ist und immer wieder als Musterbeispiel für die Architektur in der Romanik angeführt wird, ist zwei Männern zu verdanken. Im Jahre 1835 besucht der preußische Baumeister Karl Friedrich Schinkel Jerichow und entdeckt die alte Anlage, die im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigt worden war, wieder. Als Architekt des Königs hat sein Wort viel Gewicht. „Schinkel würdigte den Bau in seinem Bericht der Reise ausdrücklich. Und das war der Auslöser für die Instandsetzung“, betont Schmitt.

Mit der Restaurierung in der Zeit von 1853 bis 1856 wird dann der preußische Staatskonservator Ferdinand von Quast beauftragt. „Er hat sich intensiv um Jerichow gekümmert“, betont Bauhistoriker Schmitt. Sein Werk gilt heute als Pionierleistung des Denkmalschutzes im 19. Jahrhundert. Wie eben auch die Einführung der Backstein-Architektur durch die Handwerker aus der Lombardei 700 Jahre zuvor.

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