Die Schneiderin der Filmstars
Anja Becker-Geipel hat Hollywoodgrößen eingekleidet. Ein Besuch in ihrem Atelier auf der Burg Querfurt.
Von Julius Lukas Der violette Kaftan ist ein Blickfang – wenn nicht sogar der Blickfang im Atelier von Anja Becker-Geipel. Tritt man in ihre Werkstatt auf der Burg Querfurt (Saalekreis), so fällt das traditionelle Gewand sofort ins Auge. Ein purpurner Baumwollstoff, durchwoben mit Goldfäden. Die edle Robe ist handbedruckt und aus 60 Jahre alten Saris gefertigt. Anja Becker-Geipel hat die indischen Wickelgewänder mit ihren Mitarbeiterinnen per Hand umgearbeitet. „Wir wollten das erst mit der Nähmaschine machen, aber das hätte man gesehen“, sagt die 51-Jährige. Sie ist Kostümgestalterin. Den Umhang hat sie für einen Schah genäht, einen persischen König.
Dieser König heißt Olivier Martinez. Und ein wirklicher König ist er nicht. Der Schah mit dem violett-goldenen Kaftan war nur eine Rolle des französischen Hollywood-Schauspielers im Film „Der Medicus“. Viele Szenen der deutschen Kinoproduktion wurden auf der Burg Querfurt gedreht. 14 Tage war das Filmteam vor Ort. „Schon Wochen vorher begannen die Aufbauarbeiten“, erinnert sich Becker-Geipel an die ereignisreichen Tage 2012. Damals gehörte auch sie zur Crew. 60 verschiedene Teile fertigte die Gewandmeisterin für den Historienstreifen von Philipp Stölzl. „Das war eine extrem intensive und spannende Zeit.“
Filmdrehs sind auf der Burg Querfurt weniger ein Besonderheit, sondern fast schon eine Gewohnheit. Kino und Fernsehen geben sich auf dem romanischen Bauwerk mitunter die Klinke in die Hand. Das brachte der Festung den Beinamen „Filmburg“ ein. Die Liste der Produktionen ist lang und prominent. Der letzte Defa-Märchenfilm („Licht der Liebe“ mit Rolf Hoppe) wurde ebenso zwischen den Burgmauern gedreht wie die Fernsehreihe „Geschichte Mitteldeutschlands“. In den 2000er Jahren eroberte das Kino die Festung mit den Literaturverfilmungen „Die Päpstin“ und „Der Medicus“ sowie Til Schweigers Mittelalter-Parodie „1 1/2 Ritter.“ Zuletzt war Anfang 2018 ein amerikanischer Fernsehsender vor Ort, um Gruselgeschichten zu verfilmen. Präsentiert wurde die Serie von Schauspieler Sky DuMont.
Das macht die Burg Querfurt für Filmteams so interessant
Vor allem der gute Zustand der Burg macht sie für historische Stoffe so reizvoll. Das Ensemble ist kaum zerstört und verfügt über viele ganz unterschiedliche Gebäude. Allein die drei Türme (zwei eckig, einer rund) ermöglichen zig Einstellungen. Hinzu kommen noch eine Kirche, Herrenhäuser, Verliese und Mauern in allen möglichen Zuständen – von ein Stein auf dem anderen bis kein Stein auf dem anderen.
Wie die Burg, so hat sich auch Anja Becker-Geipel den historischen Stoffen verschrieben. „Kostüme vergangener Epochen sind mein Spezialgebiet.“ Sie sitzt an dem großen Arbeitstisch in ihrem Atelier. In den Schränken um sie herum liegen zusammengelegte Stoffe. Es ist ein Ort, der viel Wärme ausstrahlt. Bei der Fertigung historischer Kostüme komme es auf eine akkurate Arbeit und Details an, sagt Becker-Geipel und nennt ein Beispiel: „In Filmen, die vor 1880 spielen, darf etwa keine Steppnaht zu sehen sein.“ Denn die Nähmaschine wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts erfunden.
Die Feinheiten der einzelnen Epochen hat sich Becker-Geipel im Selbststudium beigebracht. Wo immer sie unterwegs ist, sucht sie in Ausstellungen und Museen nach historischen Abbildungen, um die Stile und Schönheitsideale einer jeden Zeit kennenzulernen. „Ich habe alle Epochen schon einmal durchgenäht“, sagt sie. Denn nur so lerne man die Feinheiten einer Periode kennen.
Das Mittelalter etwa würden sich die Menschen durchweg als versifft, dreckig und braun-grau vorstellen. „Dabei war es ziemlich bunt“, sagt Becker-Geipel. „Allerdings trugen die Menschen damals Farbkombinationen, bei denen einem heute schlecht werden würde.“ Die mittelalterliche Kombination von Gelb- und Rottönen etwa wäre heute selbst für ein Clownskostüm zu gewagt.
Aber man könne ohnehin nicht immer das historische Vorbild auch umsetzen, sagt die Kostümgestalterin. „Gerade beim Mittelalter muss man auch den Sehgewohnheiten des Publikums gerecht werden.“ Ähnlich sei es auch bei dem Film „Die geliebten Schwestern“ gewesen, der 2014 erschien und das Liebesleben von Friedrich Schiller beleuchtete. „Da war die Vorlage das Rokoko, eine Epoche im 18. Jahrhundert.“ Becker-Geipel fertigte ausladende Röcke und ebenso voluminöse Hüte, die im Rokoko dazu gehörten. „Bei den Kopfbedeckungen hat der Regisseur, Dominik Graf, dann aber gesagt: Die können wir nicht zeigen, sonst schaut das Publikum die ganze Zeit nur auf die Hüte.“
Die Details, auf die Anja Becker-Geipel für Kostüme achtet, sehen sicher nur die wenigsten Menschen im Kino. Das weiß die Gewandmeisterin auch. „Doch ich glaube, dass es einen Film besser macht, wenn er auf allen Ebenen stimmig ist.“ Zuletzt hatte sie allerdings nur wenig Zeit, an großen Produktionen mitzuwirken. Gerade hat sie am Theater Eisleben (Mansfeld-Südharz) die Leitung der Kostümabteilung übernommen. Zuvor bildete sie in Leipzig Bühnen- und Kostümschneider aus. „Ab und an bin ich aber noch im Atelier auf der Burg“, sagt Becker-Geipel. Wer ihre Werkstatt sehen will, solle einfach klopfen. Vielleicht hat man ja Glück und kann dann den Kaftan des Schahs persönlich in Augenschein nehmen.