Die Mönche und der falsche Graf
Ein Kloster als Hort der Trickser und Täuscher: Warum die Zisterziensermönche in Pforte bei Naumburg im 13. Jahrhundert systematisch Urkunden fälschten - sogar ihre Gründungsgeschichte.
Von Alexander Schierholz
Graf Bruno vom Pleißengau muss ein großzügiger Mann gewesen sein. In Schmölln im heutigen Thüringen gründete er im 12. Jahrhundert ein Kloster, dem er große Ländereien schenkte. Doch die Zisterzienser konnten sich nicht anfreunden mit dem Ort, zu viele Heiden siedelten ringsum. Also holte der Naumburger Bischof Udo I. die Mönche ins Saaletal. So entstand das Kloster Pforte. Es war ausgestattet mit reichen Privilegien durch die Naumburger Bischöfe: Diese verzichteten auf ihren Einfluss auf die Klosterbrüder. Und sie verpflichteten sich, dem Kloster einen durch den Umzug aus Thüringen entstandenen Landverlust kontinuierlich auszugleichen.
So liest sich, kurz gefasst, die Geschichte der Gründung von Pforte. Allein, sie stimmt nicht. Die Urkunden, in denen die Rede ist vom Grafen Bruno, von weitreichenden Rechten der Zisterzienser im Saaletal, in deren Belange sich die Bischöfe nicht einzumischen hatten – sie sind gefälscht. Die Mönche unter Abt Winemar wollten damit Anfang des 13. Jahrhunderts Vergünstigungen und Ländereien bewahren, deren Verlust sie fürchteten. Ein Kloster als Hort der Trickser und Täuscher – eine Geschichte, wie geschaffen für einen mittelalterlichen Polit-Krimi.
Foto: Andreas Stedtler
Die politische Großwetterlage zu dieser Zeit ist schwierig: Otto IV. und Friedrich der II. rangeln um die Macht im Reich, zeitweise gibt es parallel zwei Könige. „Der Thronstreit war für die jeweiligen Parteigänger existenziell, die politische Stimmung war ähnlich vergiftet wie zuletzt die Auseinandersetzungen zwischen Seehofer und Merkel“, sagt Holger Kunde. Der heutige Direktor der Stiftung Vereinigte Domstifter hat als junger Historiker 2003 in seiner Doktorarbeit die Fälschungen der Pfortenser Kloster-Urkunden aufgedeckt. Er spricht von einer „Fälscherwerkstatt des 13. Jahrhunderts“.
Im Streit um die Macht setzt sich schließlich Friedrich durch. Doch die Mönche in Pforte stehen auf Ottos Seite - und fürchten, dafür nun bestraft zu werden. Und dann tritt 1206 wegen Unstimmigkeiten mit dem Papst auch noch ihr Bischof in Naumburg ab, Berthold II. Er gilt als Fürsprecher der Mönche. Diesen hat er unter zweifelhaften Umständen Land im nahen Dorf Flemmingen zugeschanzt. Dem Domkapitel entgehen so regelmäßige Einnahmen – Geld, das die Einwohner bisher Jahr für Jahr in Naumburg haben abliefern müssen.
Würden Bertholds Nachfolger im Bischofsamt Flemmingen zurückfordern? Würden die Mönche gar die weitreichenden Rechte wieder verlieren, die ihnen der Papst nach Fürsprache Bertholds gewährt hat? Um das zu verhindern, kommt Abt Winemar auf eine Idee. Zwischen 1209 und 1213 lässt er Vertraute die Gründungsgeschichte des Klosters einfach neu schreiben, samt der Geschichte vom großzügigen Grafen und der Verpflichtung der Bischöfe, das Kloster mit Privilegien und großen Ländereien auszustatten.
Die gefälschen Urkunden, 13 sind es insgesamt, werden vordatiert, auf die Jahre ab 1140. Aus damaliger Sicht ist das ein logischer Schritt: „Im Mittelalter galt älteres Recht stets mehr als aktuelle Regelungen“, erklärt Historiker Kunde. Ließen sich die klösterlichen Privilegien also anhand vermeintlich älterer offizieller Dokumente nachweisen, so der Plan des Abts, seien sie dem Kloster nicht mehr zu nehmen.
Ob die Befürchtungen Winemars, Pfründe zu verlieren, gerechtfertigt waren, ist aus heutiger Sicht unklar. „Angesichts des Aufwandes, der für die Fälschungen betrieben wurde, wird da aber schon etwas dran gewesen sein“, sagt Kunde. Zwar seien in mittelalterlichen Klöstern immer mal wieder Urkunden gefälscht worden, um sich bestimmte Rechte zu sichern, „aber eine ganze Gründungsgeschichte neu zu schreiben, das ist auch im europäischen Vergleich eher selten“.
Irgendwer muss den Mönchen aber schließlich auf die Schliche gekommen sein. 1213, so ist es überliefert, einigen sich das Domkapitel in Naumburg und das Kloster auf die Zahlung von Strafgeldern „zur Wiederherstellung von Frieden und Eintracht“.
Eigentlich hatte Holger Kunde seine Doktorarbeit über ein ganz anderes Thema schreiben wollen. Der Wissenschaftler wollte die Ansiedlung der Zisterzienser im damaligen Thüringen erforschen, wozu auch Pforte zählte. Doch beim Urkunden-Studium stieß er auf Widersprüche in der Darstellung der Gründungsgeschichte des Klosters: In einigen Versionen war vom großzügigen Grafen Bruno vom Pleißengau die Rede, in anderen nicht. „Da kam bei mir der Verdacht auf, dass es sich zum Teil um Fälschungen handeln muss.“
Der Verdacht erhärtete sich bei weiteren Recherchen: In mehreren für das Kloster bedeutsamen Dokumenten von dritter Seite, darunter eine Urkunde des damaligen Papstes Innozenz II, tauchte der Graf überhaupt nicht auf. So wurde klar: Er kann bloß eine Erfindung sein. Zu diesem Ergebnis verhalfen Kunde auch Schriftvergleiche. In mehreren Archiven in Deutschland und Frankreich studierte er weitere Schriftstücke der Zisterzienser. „Um 1140 sah das typische Schriftbild noch anders aus als 60 oder 70 Jahre später“ – also zu der Zeit, zu der die Fälschungen entstanden. Das ältere Schriftbild exakt nachzuahmen, gelang den Fälschern nicht immer.
Doch warum brauchte es erst die Forschungen eines jungen Historikers Anfang des 21. Jahrhunderts, um den Fälschern des 13. Jahrhunderts auf die Spur zu kommen? Die Urkunden des Klosters Pforte, von seinen Ursprüngen bis zu seiner Auflösung im Jahr 1540, seien schließlich so gut erforscht wie es selten der Fall ist, sagt Kunde. Dass dennoch vor ihm niemand in der Zunft der Historiker Verdacht schöpfte, kann er sich nur so erklären: „Man hat es wohl nicht für möglich gehalten. Und man hat versucht, in den widersprüchlichen Aussagen immer noch einen Sinn zu finden.“ Erst Kundes Arbeit brachte die Tricksereien schließlich ans Licht.
Der Naumburger Bischof Berthold II. übrigens verbringt seinen Lebensabend nach seinem erzwungenen Abtritt im Jahr 1206 – in Pforte. Er erhält also einen Altersruhesitz in dem Kloster, für das er sich als Bischof stets einsetzte. „Das hat schon ein Geschmäckle“, meint Kunde. Man könnte auch sagen: Das war Kungelei.